Künstlerhaus S11 Solothurn 29.9.2007 – 21.10.2007
Intersections - Teresa Chen und Sabine Hagmann
Teresa Chen (1963, lebt in Zürich) und Sabine Hagmann (1965, lebt in Zürich) verbindet das Interesse an Fragen nach Zugehörigkeit und Identität. In ihrer Ausstellung Intersections geht es um das Zusammentreffen von Kulturen bzw. Lebensgeschichten. Teresa Chen spürt ihren eigenen kulturellen Wurzeln nach und untersucht den Wandel der Identität, der mit dem Erwerb der schweizerischen Staatsbürgerschaft verbunden ist. Sabine Hagmann erfragt die Erinnerungen von Liebespaaren an die ersten Momente ihrer Beziehung. Beide zeigen individuelle Entwicklungen und kulturelle Prägungen, Verschmelzungen und Berührungen, Konfrontationen und Widersprüche. Beide Werke spielen mit dem Spannungsverhältnis objektiver Wahrheit und subjektiver Erinnerungen. Die Absolventinnen des Studiengangs Fotografie der HGK Zürich erweitern seit einiger Zeit ihre fotografische Arbeit mit anderen künstlerischen Medien. Ihre Arbeitsweise ist nicht nur statisch- abbildend, sondern auch dialogisch-forschend. Sowohl Teresa Chens Videoarbeit wie auch Sabine Hagmanns Audioinstallation verwenden das Interview als Forschungsinstrument. Beide Künstlerinnen arbeiten auf diese Weise mit dem besonderen Sog von Erzählungen.
In Teresa Chens neuester Videoarbeit Be[com]ing Swiss (2007) erzählen verschiedene Personen über den Prozess ihrer Einbürgerung in die Schweiz. Alle Erzählerinnen und Erzähler kamen erst im frühen Erwachsenenalter in ihre neue Heimat. Einige nahmen schon nach kurzem Aufenthalt die schweizerische Staatsbürgerschaft an, andere liessen sich viele Jahre Zeit. Chen dokumentiert in ihren Interviews die subjektiven Selbstwahrnehmungen im Wandel des fremden Landes zum neuen Heimatort. In den Interviews spiegeln sich vielfältige Kombinationen der Kategorien Geschlecht, Nationalität, Alter und soziale Schicht im Zusammenhang mit der ganz eigenen Geschichte. Die Porträts werden zusammen mit anderen Szenen collagiert, die aus Chens eigenem laufenden Einbürgerungsprozess und Ausschnitten aus dem Film Die Schweizermacher (1978) von Rolf Lyssy entnommen sind. Als in der Schweiz lebende Amerikanerin, deren Eltern aus China in die USA auswanderten, hat sich Teresa Chen immer schon mit den Unsicherheiten solcher Identitätsfindungsprozesse auseinandergesetzt. Bereits in ihren früheren Fotografien zeigt sie Körperfragmente zwischen Intimität und oberflächlicher Zurschaustellung und spricht damit über das Phänomen der zersplitterten Identität. In der Ausstellung zeigt Teresa Chen auch zwei ältere Arbeiten, die sich mit diesem Thema über Bilder aus ihrer eigenen Kindheit beschäftigen. A Merry Christmas (1963- 2001) ist eine Sammlung von Familienfotos, die jedes Jahr zu Weihnachten aufgenommen wurden. Per Selbstauslöser wurde das gemeinsam inszenierte Posieren und Lächeln für das Erinnerungsalbum festgehalten. Teresa Chen präsentiert eine Auswahl dieser Fotos, die in ihrer Wiederholung desselben Motivs die Selbstvergewisserung der kulturellen Integration illustrieren. Die Dia- Installation Beltsville, Maryland (2001) zeigt Fotografien, die ihre Mutter vom amerikanischen Vorort machte, in dem Teresa Chen aufwuchs. Mit kurzen Texten tiert die Künstlerin diese Orte ihrer Kindheit und Jugend. Die Bilder beider Arbeiten bewegen sich absichtsvoll im stilistischen Genre der Amateurfotografie. Von Familienmitgliedern für die eigene Erinnerung geschossen, zeigen sie ein idealisiertes Bild der Familie und der Umgebung der Künstlerin. Die Bilder erzählen vom Bemühen um eine möglichst perfekte Anpassung der chinesischen Familie an die amerikanischen Verhältnisse und werden aus der subjektiven Wahrnehmung der Künstlerin kritisch kommentiert.
In Sabine Hagmanns erstmals gezeigter Audioinstallation Love Stories – Erinnerungen an den Anfang (2002-2007) erzählen drei Liebespaare vom Moment ihres Kennenlernens und Verliebens. Zwei Lebensgeschichten treffen und verflechten sich zu einer gemeinsamen Erzählung. Das Vorgehen der Künstlerin gleicht einer soziologischen Experimentalanordnung. Die Partner berichten ihre Versionen des Anfangs jeweils einzeln und denken dabei neu über ihre Geschichte nach. In der Isolierung der Erinnerungen geht es um das Spannungsverhältnis von gemeinsamer und individueller Geschichte und um die individuelle Komponente der partnerschaftlichen Selbstvergewisserung. Die unterschiedlichen Qualitäten der Konstruktion von Beziehungsgeschichten zeigen sich einerseits in der Harmonie der gemeinsam gefundenen Formeln und Sprachspiele und andererseits in der Dissonanz der individuellen Akzente und Widersprüche. Die Künstlerin spielt dabei die Rolle des Gegenübers – ein Ansatz, der bereits in früheren Arbeiten Hagmanns zentral war. In ihren Fotografien manifestiert sich dieses Spannungsverhältnis durch Portraits, in denen die Fotografin mit der bzw. dem Porträtierten über unterschiedliche Nähe oder Distanz eine Beziehung aufnimmt. Auch im Video matching (2006) und den Objektpaaren aus ineinander (2004/05), die in der Ausstellung ebenso zu sehen sind, interessiert sich Hagmann für diesen Beziehungsaspekt. In der Audioinstallation der Ausstellung kehrt dieses Thema im Gegenüber der Paare wieder. Die Schilderungen der beiden Partner werden installativ auf einer „Paarinsel“ konfrontiert, bestehend aus einem Teppich, zwei Stühlen und zwei Kopfhörern. Die Gegenüberstellung der Erzählungen spiegelt sich im vis-à-vis der zwei Sitzgelegenheiten. Das Publikum hört die Geschichten unabhängig voneinander und stösst fast unweigerlich auf zentrale Fragestellungen alltäglicher Existenz. Wer sind wir? Wie sehen wir uns selbst? Wie sehen uns andere? Wie konstituiert sich Erinnerung? und letztlich Was ist Wahrheit und Wirklichkeit? Dahinter steht das Interesse für die Komplexität von Erinnerungen, die wiederum der Wahrnehmung der Gegenwart zugrunde liegen. Die erinnerte Wirklichkeit wird nicht als faktisch und statisch verstanden, sondern als ständig sich veränderndes, intersubjektives Konstrukt. Das Wissen um die Brüchigkeit und Wandelbarkeit von Erinnerung wird zu einem Teil der Selbstwahrnehmung und des Identitätsfindungsprozesses.
Sabine Rusterholz, August 2007