Die Zürcher Künstlerinnengruppe "mit" inszeniert gesellschaftliche Anlässe als Kunstprojekte. Die zwölf Frauen laden zu grossen Festveranstaltungen ein oder schlagen – wie auf der nebenstehenden Seite – durchgestaltete Anlässe für zu Hause vor.
Wir laden uns gegenseitig zum Essen ein, wir überlegen, wer zu wem passt. Wir decken den Tisch und schlagen vielleicht sogar eine Sitzordnung vor. Wir servieren das Dessert zuletzt und versuchen, die Gäste anregend zu unterhalten. Einladungen und gemeinsame Anlässe laufen nach mehr oder minder fixen Regeln ab, die wir von Kindesbeinen an übernehmen und lernen. Vieles, was da passiert, ist nicht bewusst und wird auch kaum in Frage gestellt. Nicht nur um Feste zu organisieren, sondern vor allem, um solche Rituale deutlich zu machen, haben sich in Zürich zwölf Künstlerinnen zu "mit" zusammengeschlossen. Im April, Mai und Juni dieses Jahres boten sie im leerstehenden ehemaligen Museum für konstruktive und konkrete Kunst drei "Anlässe" an. Der erste hiess "sehr erfreut". Die Künstlerinnen, sämtlich in dezentem Beige gekleidet, traten als liebenswürdige und achtsame Diener- oder vielleicht auch Wächterinnen auf und begleiteten und reglementierten jeden Schritt. Man wurde die Treppe hochgeführt und einem der bereits bestehenden Grüppchen von Leuten beigesellt. Dann machte eine als perfekte Hausfrau oder Salondame auftretende Künstlerin den Neuling bekannt und gab obendrein ein Thema vor, über das die Gruppe nun zu reden hätte. In den meisten Fällen machten sich alle brav dran, entlang dieses Leitfadens zu kommunizieren. Kaum aber hatte man sich ein wenig vertieft, drohte auch vom Thema wegzudriften, schon wurden die eben geknüpften Bande wieder zerrissen und einzelne Mitglieder in andere Grüppchen versetzt. Obendrein wurde ein neues Thema serviert. - Was sonst langsam und vorsichtig passiert, das Kennenlernen neuer Menschen im Kontext der tastenden Annäherung an ein Thema, geschah hier gleichsam im Zeitraffer und fremdbestimmt. Die eigenen Empfindungen diesem Eingreifen gegenüber blieben ambivalent. Einerseits fühlte man sich ein wenig vergewaltigt und gezwängelt, andrerseits lernte man schnell und heiter-unkompliziert neue Leute kennen. Man wurde in einen Rahmen strenger Rituale eingespannt und damit - durchaus angenehm - in die Gruppe aufgenommen, war aber zugleich in der eigenen Initiative und Kreativität eingeschränkt.
"mit" stellt mit unserer aktiven Beteiligung das soziale Zusammenleben als Spiel mit variablen Regeln vor. Natürlich wissen wir längst, dass wir zum Teil wie ferngesteuerte Roboter funktionieren, aber das heisst noch lange nicht, dass wir in der Lage wären, dieses Wissen produktiv umzusetzen, indem wir das soziale und kommunikative Feld als kreatives Spielfeld nutzen. Die Künstlerinnen schlagen zwei Fliegen mit einer Klappe. Einerseits organisieren sie ein riesiges Fest, auf dem sich die unterschiedlichsten Gäste, von der Grundschullehrerin bis zur Juristin und dem Künstler treffen, andrerseits legten sie die gemeinhin solche Events begleitenden Rituale oder Zeremonien frei. Am Ende des ausufernden "Anlasses" war nicht mehr klar, ob das ungeniert küssende Liebespaar einen inszenierten Bühnenauftritt zelebrierte oder den Begehren des real life nachkam. Wo fängt die Grenze zwischen "natürlichem" Verhalten, gesellschaftlich determinierten Ritualen und einer künstlerischen Performance an?
Kunstbulletin 12/2002