In einer Zeit, in der die Grenzen zwischen privat und öffentlich nicht nur im Kunstbereich fliessend geworden sind, in der Kunstausstellungen in Privatwohnungen stattfinden und private Lebenswelten in Kunstmuseen verpflanzt werden, ist es berechtigt zu fragen, inwiefern die berühmte modernistische Forderung der gegenseitigen Durchdringung von Kunst und Leben eingelöst worden ist. Die zwölf Künstlerinnen der Gruppe mit, Klodin Erb, Gabriela Frei, Sabine Hagmann, Regula Michell, Eliane Rutishauser, Karoline Schreiber, Vreni Spieser, Mirjam Staub, Theres Waeckerlin, Meret Wandeler, Agatha Zobrist und Hanna Züllig sind dieser Frage nachgegangen. Als im Grossraum Zürich lebende Kunstschaffende sind sie in doppelter Hinsicht betroffen, einerseits als Produzentinnen, die sich an über marktwirtschaftlichen Erfolg entscheidenden Vernissage-Abenden „verkaufen“ müssen und andererseits als Teil des Kunstpublikums, das sich einem immer grösseren Partyzirkus gegenübersieht. Da der „Event“ bereits fester Bestandteil des bürgerlichen Kunstrituals geworden ist, schien es sinnvoll, sich dieser Frage im Rahmen eines solchen anzunähern und ihn dabei in listiger Weise zu hinterfragen. Im bereits bewährten Rahmen der nomadisierenden ec-bar veranstaltete die Künstlerinnengruppe mit drei Abende, die je einen Aspekt des Themenkomplexes hervorhoben. Die ”Anlässe” fanden in lockerem Abstand jeweils an einem Donnerstagabend statt und erfreuten sich regen Publikumsinteresses.
Am 11. April 2002 ging der Eröffnungsabend unter dem Motto „sehr erfreut“ über die Bühne. Die zwölf in dezentem Beige gekleideten Künstlerinnen gaben sich als gewiefte Gastgeberinnen, welche die überraschten Besucher empfingen, zu den bereits erschienenen Gästen führten und in wohlerzogene Konversation verwickelten. Nach geregelten Zeitabständen wurden die Plauderzirkel neu zusammengestellt und mit frischem Gesprächsstoff versorgt. Noch lange nach dem geführten Happening hielten sich angeregte Diskussionsgruppen, die sich erstaunt über das reibungslose Gelingen der Massenperformance an der neuen Gesprächskultur freuten. Die Künstlerinnen selbst haben in unangestrengter Weise in einem subversiven Geniestreich ihre traditionelle, weibliche Rolle als dekorativ im Hintergrund waltende Gastgeberinnen aufs Korn genommen und gleichzeitig ihre künstlerische Leitung als Gestalterinnen von Kommunikationsprozessen unter Beweis gestellt.
Der Zufälligkeit von gesellschaftlichen Ritualen war der zweite Abend ”random access“ am 9. Mai 2002 gewidmet. An dieser Gruppenperformance wurde in einem strengen System von Glück und Zufall der Zugang zur Getränkeversorgung geregelt. Ein blaues Kleidungsstück konnte über die Bedienung durch eine mit blauer Perücke geschmückte Hostess entscheiden... Wie im richtigen Leben, galt es, der äusserlichen Erscheinung grosse Aufmerksamkeit zu schenken und die Spielregeln blitzschnell zu erlernen...
Mit den „100 schönen Männern“ wurden die sozio-kulturellen Untersuchungen zu den gesellschaftlichen Kunstritualen abgeschlossen. Am 6. Juni 2002 wurden von mit 100 nach gängigen Vorstellungen als attraktiv geltende Männer eingeladen. Zur Sicherheit waren sie mit Ansteckrosen kenntlich gemacht und mussten sich einer kritischen Musterung durch die anwesenden männlichen (!) Gäste unterziehen („Was haben die, was ich nicht habe?“). Durch ein ausgeklügeltes Szenario der Künstlerinnengrupe wurden stringente, neue Blickerfahrungen orchestriert in denen gängige Rollenmuster umgekehrt wurden. Diese ungewohnte Erfahrung hat viel Amüsement aber auch Nachdenken ausgelöst. Man darf mit Fug und Recht behaupten, dass an diesem Abend wichtige philosophische Erkenntnisse Judith Butlers greifbar wurden, nämlich dass Geschlechterrollen (und sogar Geschlechter selbst) performative Angebote sind, die nach ideologischen Grundsätzen innerhalb einer Gesellschaft geregelt werden.
Was manchen, unvorbereiteten Besucher/innen zunächst als originelle, etwas anspruchsvollere Erlebnisgastronomie vorgekommen sein mag, entpuppte sich im Rückblick als mit Sorgfalt und Witz inszenierte Modellsituationen, in denen eine Sensibilisierung für gesellschaftliche und kulturelle Rituale gefördert wurde. Die Trennung zwischen Betrachter/-innen und Werk war aufgehoben und die aktive Teilnahme am Prozess verordnet. Was die eingangs gestellte Frage nach der Durchdringung von Kunst und Leben betrifft, so wurde sie insofern beantwortet, als sie an diesen drei Abenden stattfand und damit die zunehmende ästhetische Durchdringung des gesamten gesellschaftlichen Lebens (Wolfgang Welsch) sichtbar machte.